Wir fordern, analog zu den „Elternbriefen“ für Senior*innen ab dem 65. Lebensjahr regelmäßig Informationsbriefe zu verschicken. Die Inhalte der Briefe könnten unter anderem folgende Themen sein: Beratung zur gesunden seniorengerechten Ernährung, Fitnessangebote, Sturz-Prophylaxe, Möglichkeiten des Wohnungstausches, Grundsicherung im Alter, Wohngeld, Angebote der nachbarschaftlichen Vernetzung, Pflege von Angehörigen und Inanspruchnahme von ambulanter Pflege, das Anrecht auf Sozialleistungen, Senior*innen- und Nachbarschaftstreffs, Einsamkeit, Sexualität, München-Pass, seniorengerechtes Verhalten bei Hitze oder für Senior*innen gut geeignete Freizeitangebote und Ausflugsziele.
Archive
11/III/2023 Senior*innen-Briefe
8.08.20239/III/2023 Flächen auf Tiefgaragen oder Dächer für Sport und Freizeit nutzen
8.08.2023Flächen auf Gebäuden, die durch eine Bebauung mit Tiefgaragen oder Bauten aller Art versiegelt wurden, sollten für Freizeit und Sporteinrichtungen genutzt werden. Damit könnte eine zusätzliche Versiegelung von Flächen entfallen. Eine gemeinsame Nutzung von Sport/Freizeit mit PV-Anlagen und/oder Bepflanzung/Hochbeeten wird angestrebt. In Konfliktfällen wird die am besten passende Lösung für den konkreten Ort präferiert.
8/III/2023 Bahnhofsviertel, aber sicher für alle
8.08.2023Der Münchner Hauptbahnhof steckt seit Jahren durch Investition und große Bauprojekte mitten in einem starken Wandel. Das Viertel rund um den Hauptbahnhof ist geprägt von diversen Akteur*innen, hoher Fluktuation und hohem Nutzungsdruck: kleine internationale Supermärkte und große Einzelhandelsketten, Wohnungen und Luxushotels, soziale Einrichtungen, der sogenannte “Arbeiterstrich”, der alte botanische Garten und mittendrin die Touris auf dem Weg zum Stachus. Das war schon immer ein Ort, der zu Nutzungskonflikten neigt und viele verschiedene Interessen vereinen muss. Durch die fortschreitende Gentrifizierung geraten immer mehr dieser Interessen in Gefahr. Wir Jusos München setzen uns im Angesicht von sich ausbreitenden Hotelketten und Großinvestoren gerade für die Interessen der finanziell Schwächeren ein und fordern die Stadt dazu auf, die Umgestaltung des Bahnhofsviertels sozial und fair zu gestalten.
Das Bahnhofsviertel umgestalten: Für die Menschen, nicht die Büros
Dem Urteil des Münchner Planungsreferats von 2020 zufolge ist das Hauptbahnhofviertel nicht geeignet für den Wohnungsbau. Wegen Lärm- und Schmutzbelastung und fehlender Infrastruktur, darf freiwerdender Raum für Büroflächen, nicht aber für Wohnungen genutzt werden. Wir halten diese Schlussfolgerung für falsch und fordern, dass das Bahnhofsviertel lebenswerter gestaltet wird, statt Leben dort auszuschließen.
Gerade in so zentraler und umkämpfter Lage, kann es nicht sein, dass wir Investor*innen und Großfirmen wertvollen Raum unserer Stadt überlassen, damit sich diese mit Spitzen-Quadratmeterpreisen eine goldene Nase verdienen. Gerade dort müssen wir die Verteilung unseres kostbaren Innstadt-Raums fair gestalten. Wir wollen nicht, dass unsere Innenstadt für Großgeschäfte, Büros und Restaurants, nicht aber mehr für Menschen zum Leben Platz hat. Daher fordern wir die Stadt auf, die Umgestaltung des Hauptbahnhofs in den kommenden Jahren in Zusammenarbeit mit den verschiedenen Akteur*innen vor Ort zu gestalten, um die vielen verschiedenen Perspektiven zusammenzubringen und nicht die Bedürfnisse von finanziell Schwächeren auszuschließen.
Auch wenn wir die Gentrifizierung des Bahnhofs und die damit einhergehende Vertreibung zur Stadt gehörender Menschen ablehnen, sehen wir trotzdem erheblichen Bedarf, die Aufenthaltsqualität im Viertel zu verbessern. Neben dem Milieuschutz muss sich die Stadt München gemeinsam mit den Bürger*innen aktiv an der Umgestaltung beteiligen, um Probleme wie Lärm, Müll, Abgase oder Bodenversiegelung anzugehen.
Ein wichtiger Aspekt hierbei ist die Platzgestaltung und bauliche Situation rund um den Bahnhof: Durch Begrünung, Sitzgelegenheiten, kostenfreie und regelmäßig gereinigte Toiletten, eine ausreichende Anzahl an Mülleimern und bessere Beleuchtung. Defensive Architektur lehnen wir insbesondere rund um den Hauptbahnhof ausdrücklich ab. Der Umbau des Bahnhofs kann dabei explizit genutzt werden, um gestalterisch tätig zu werden, wie es die Stadt München auch bereits wie zum Beispiel mit dem Beschluss zum autofreien Bahnhofsplatz getan hat. Außerdem soll das Bahnhofsviertel im Rahmen der autofreien Innenstadt priorisiert behandelt werden, wir fordern die Reduzierung von motorisiertem Individualverkehr und emmissionsfreie Lieferverkehre. Auch die temporäre Umnutzung durch Sommerstraßen, wie zum Beispiel in der Schillerstraße, wäre eine Möglichkeit, die Luftverschmutzung zu verringern.
Wir fordern
- Die Begleitung der Bahnhofs-Umgestaltung im Austausch mit Bürger*innen und Akteur*innen im Bahnhofsviertel
- Die Verbesserung der Lebensqualität vor Ort zum Beispiel durch Begrünung, Reduzierung von Verkehr, mehr attraktiven kostenfreien Aufenthaltsangebote, oder kostenfreie Toiletten,
- Eine Sommerstraße im Bahnhofsviertel
Reduce Harm statt Repression
Im und rund um den Bahnhof haben wir wie in vielen anderen Städten ein hohes Aufkommen von obdachlosen sowie suchtkranken Menschen. Dies provoziert regelmäßig aufkeimende Debatten über den Umgang mit obdachlosen suchtkranken Menschen im öffentlichen Raum unserer Städte, wie z.B. die Forderung nach Alkoholverboten oder einer höheren Zahl an Sicherheitspersonal. Dabei sind es nicht in erster Linie die Passant*innen und Tourist*innen, die den Hauptbahnhof überqueren, für die Drogenabhängigkeit zur Gefahr wird: Jahr für Jahr steigt die Zahl der Drogentoten in Deutschland rasant an, so auch in den letzten Jahren in München.
Wir machen uns seit Jahren in München dafür stark, Rauschmittel-Abhängige – sei es Alkohol oder harte Drogen – nicht als inakzeptables Verhalten aus unseren Städten wegzugentrifizieren, sondern die Lebenssituationen dieser Menschen in den Mittelpunkt unserer Politik zu stellen. Suchtkrankheit ist kein Ausdruck eines individuellen Versagens, sondern ein systemisches Symptom im Kapitalismus. Armut und Perspektivlosigkeit führen Menschen zu einem übermäßigen Alkohol- oder Drogenkonsum. Wir wollen Konsument*innen durch sogenannte “Reduce Harm Maßnahmen” vor möglicher Gefahren schützen. Dies bedeutet, ihren Konsum möglichst ungefährlich zu machen, statt sie durch repressive Politik in den Untergrund und damit vor allem fernab von möglicher Hilfe zu drängen.
Wir lehnen allgemeine Alkoholverbote im öffentlichen Raum ab. Alkoholverbote dienen nie den alkoholkranken Menschen, sondern immer nur denen, die sich an ihnen stören. Sie kriminalisieren die Schwächsten unserer Gesellschaft, statt ihnen Hilfe anzubieten, und verschieben Konflikte, statt sie zu lösen. Alkoholkranke werden dadurch schlimmstenfalls weiter in den Untergrund und weg von möglicher Hilfe verdrängt. Wir fordern die Aufhebung des derzeitigen Alkoholverbots am Hauptbahnhof. Die Studie zur Auswirkung des Alkoholverbots soll endlich durchgeführt werden, statt weitere Verlängerungen zu legitimieren. Ein guter erster Schritt ist die Einrichtung D3, wo mitgebrachter, niedrigprozentiger Alkohol konsumiert werden kann, Menschen die Möglichkeit haben, sich aufzuwärmen oder zu duschen. Dort sind die Menschen auch erreichbar durch sozialpädagogische Arbeit, es entstehen Kontaktpunkte für die Vermittlung hilfreicher Angebote. Auch wenn die Einrichtung grundsätzlich sinnvoll ist, dient sie weiterhin auch dem Zweck, Konsumierende aus dem öffentlichen Raum wegzubekommen, um andere Nutzungen nicht zu belasten. Wir wollen, dass alle Menschen sich im öffentlichen Raum aufhalten können und wollen deshalb Angebote wie die Trinkerstube erhalten und gleichzeitig das Alkoholverbot wieder abschaffen.
Wir fordern weiterhin die Schaffung von Konsumräumen auch für harte und illegale Drogen und fordern die bayerische Landesregierung auf, diese endlich zu ermöglichen! Neben Hilfe für Abhängige, können Suchträume auch für mehr Sicherheit im öffentlichen Raum sorgen. Ob Nußbaumpark, Alter Botanischer Garten am Hbf oder Georg-Freundorfer-Platz – immer wieder kommt es in München zu Problemen, weil in Parks Spritzen und andere Überreste von Konsument*innen in der Nähe von Spielplätzen herrumliegen. Dem können Konsumräume entgegenwirken. Außerdem setzen wir uns dafür ein, dass möglichst bald kostenlose Drogen Checks in München möglich sind. Dort können Konsument*innen anonym ihre Drogen auf den genauen Inhalt testen lassen, wodurch sich Vergiftung durch Streckmittel oder versehentliche Überdosierung verhindern kann. Dafür fordern wir eine schnellstmögliche Änderung des Betäubungsmittelgesetzes, damit Drogen Checks in ganz Deutschland ermöglicht werden. Drug Checking funktioniert nur mit Vertrauen. Wir brauchen eine bundesweit einheitliche Regelung, die Rechtssicherheit schafft und die Einführung von Drogen Checks nicht von der Willigkeit einzelner Landesregierungen abhängig macht. Drogenchecks können außerdem wertvolle Informationen über die Rauschmittelsituation in Deutschland liefern. So lässt sich beispielsweise monitoren, welche Drogen konsumiert werden, ob beispielsweise neue Drogen verstärkt in Deutschland auftauchen. Orte an denen Suchtkranke keine strafrechtliche Verfolgung fürchten müssen und der EIntritt nicht von Abstinenz abhängt, können auf verschiedenste Arten einen sinnvollen Beitrag zum Schutz von Konsument*innen bieten. So kann dort zum Beispiel über Angebote, wie Suchtberatung informiert werden. Es können saubere Spritzmittel ausgeteilt werden, um z.B. Ansteckungen über Nadeln zu verhindern. Es können Drogennotfalltrainings oder Gegenmittel für eine Überdosis angeboten werden. Über die Schaffung von Räumen explizit für Konsument*innen, gibt es viele weitere Maßnahmen im öffentlichen Raum, die Suchtkranken und Obdachlosen helfen Nutzungskonflikte vorbeugen können, wie zum Beispiel beispielsweise Schlafboxen für Obdachlose, Duschmobile, Automaten zum Spritzentausch oder kostenfreies Trinkwasser. Auch Entsorgungsmöglichkeiten für benutzte Spritzen sind anzubieten, damit diese am Ende nicht beispielsweise in Sandkästen von Kinderspielplätzen landen.
Wir fordern:
- Die Akzeptanz von Suchtkranken und Obdachlosen als Teil unserer Stadt und die Anwendung von Reduce Harm Methoden, um diese Menschen zu unterstützen
- Eine bundesweit einheitliche Regelung für kostenfreie Drogen-Checks und die Implementierung in München
- Die bayerische Legalisierung von Drogenkonsumräumen und schnelle Implementierung in München
- Die Aufhebung des Alkoholverbots am Hauptbahnhof, sofern die wissenschaftliche Untersuchung, die derzeit durchgeführt wird, dies für eine solche spricht.
6/III/2023 Unterstützung statt Jugendarrest – Für einen anderen Umgang mit Schulverweigerung
8.08.2023Die SPD setzt sich dafür ein, dass die Regelungen der Maßnahmen zur Durchsetzung der Schulpflicht in allen Bundesländern, wo dies nicht bereits der Fall ist, wie folgt geändert werden:
- Die Durchsetzung der Schulpflicht bzw. geschuldeter Bußgelder im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Schulpflicht durch Haft oder Jugendarrest wird grundsätzlich verboten.
- Die Verhängung von Bußgeldern ist in Zukunft nur noch gegen Erziehungsberechtigte, Ausbildungsbetriebe und Träger*innen ähnlicher Pflichten im Zusammenhang mit der Schulpflicht zulässig, nicht jedoch gegen die Schulpflichtigen selbst.
- Erziehungsberechtigte, welche ihre Pflichten erfüllen möchten, jedoch nicht in der Lage sind, ihre Kinder zum Schulbesuch zu bewegen, werden nicht mit Bußgeldern belegt. Im Zweifel müssen hier Einzelfallentscheidungen im Sinne der betroffenen Familien getroffen werden.
Statt Strafen muss Kindern und Jugendlichen, welche den Schulbesuch dauerhaft, für längere Zeit oder regelmäßig verweigern, und deren Familien, an deren Bedürfnisse angepasste Hilfe zur Seite gestellt werden. Statt Abschreckung und Zwang braucht es eine Stärkung der Schulsozialarbeit und der Jugendämter sowie einen deutlich einfacheren Zugang zu psychologischer Unterstützung. Im Fall von Mobbing müssen die Schulen stärker als bisher dabei unterstützt werden, das Problem systemisch anzugehen. Sollte ein Besuch der ursprünglichen Schule nicht mehr zumutbar sein, muss gemeinsam mit dem*der Schüler*in und den Erziehungsberechtigten ein alternativer Weg zu einem Schulabschluss gefunden werden. Um zu verhindern, dass Jugendliche die Schulpflicht „aussitzen“ und schließlich ohne Abschluss aus dem System fallen, muss die Schulpflicht künftig in eine Bildungsgarantie übergehen – Unterstützungsangebote dürfen nicht mit dem Ende der Schulpflicht aufhören, stattdessen müssen die Schüler*innen weiter bis zu einem Schulabschluss begleitet und ihnen eine Perspektive zu einem berufsqualifizierenden Abschluss geboten werden – mit der Ausbildungsgarantie ist hier ein erster, wichtiger Schritt getan. Die Orientierung auf einen Abschluss hin bedeutet auch, dass einjährige Maßnahmen, welche nicht unmittelbar zu einem berufsqualifizierenden Abschluss führen, künftig nicht mehr zur Erfüllung der Berufsschulpflicht ausreichen dürfen.
5/III/2023 Kommunaler Cannabis-Anbau, Modellprojekt und Konsum auch auf der Wiesn ab 2024 durchziehen
8.08.2023Lange haben wir dafür gekämpft, nun zeichnet sich am Horizont eine konkrete Perspektive für die Legalisierung von Cannabis ab. Die Bundesregierung hat mit den Cannabis-Social-Clubs bereits einen guten Vorschlag für die nicht-kommerzielle Produktion von Cannabis gemacht. Darüber hinaus muss die Stadt München als Kommune vorangehen und eine eigene gemeinwohlorientierte Produktion von Cannabis in unserer Stadt schaffen, die über die Social-Clubs hinausgeht: Die Münchner Stadtgärtnerei bietet Potential für die Produktion von genussfähigem Cannabis.
Wir fordern die SPD-Stadtratsfraktion dazu auf, sich einerseits dafür einsetzen, dass ein Auftrag an die Stadtgärtnerei ergeht, Unterstützungsstrukturen für die Gründung von Genossenschaften und Cannabis Social Clubs geschaffen werden, die sich dem Ziel verschreiben, Cannabis in guter Qualität ohne private Gewinnerzielungsabsicht zu produzieren und zu vertreiben. Hierzu zählen sowohl Beratungsangebote als auch die Überlassung von Flächen in Erbpacht, die Möglichkeit zur Überlassung von Zwischennutzungen sowie finanzielle Unterstützung über den städtischen Haushalt und die Bezirksausschüsse. Darüber hinaus muss schon jetzt die Planung dafür angestoßen werden, dass auf dem Oktoberfest 2024, sofern der Konsum von Cannabis dann legal ist, dafür ein expliziter Rahmen geschaffen wird. Ob dafür neben das Weinzelt ein Kifferzelt gebaut wird oder ob am Kiosk neben Tabak auch Cannabis erworben werden kann, soll jetzt schon frühzeitig geprüft werden. Selbstverständlich soll analog zu der Notwendigkeit zum Sitz der Brauereien in München auch nur lokal angebautes Gras auf der Wiesn zu erwerben sein. Hierbei ist es wichtig, dass auch Aufklärungskampagnen zu Mischkonsum durchgeführt werden. Außerdem begrüßen wir, dass die Rathausmehrheit die Initiative der Jusos München aufgegriffen hat und Modellkommune für die wissenschaftliche Erforschung der Abgabe unabhängig von den Social-Clubs werden möchte. Markus Söder und Klaus Holetschek können noch so viel wettern und meckern, die Legalisierung wird nicht an den bayerischen Grenzen Halt machen.
4/III/2023 Wachstum, Wachstum tralala, Wirtschaft ist nicht zum Wachsen da!
8.08.2023Viele wirtschaftspolitische Debatten in der Bundesrepublik – und auch in der SPD und bei den Jusos – drehen sich um die Frage nach Wachstum. Gerade im Zusammenhang mit der sozial-ökologischen Transformation ist außerdem eine neue Position prominent geworden, die unter dem Begriff “Degrowth” eine Schrumpfung der Wirtschaft fordert, um planetare Grenzen einzuhalten und das Wirtschaften umweltverträglich zu machen. Mit diesem Antrag wollen wir die Grundlage für eine klare Haltung zum Thema Wachstum schaffen und damit die Debatte konstruktiv weiterbringen. Diese Position bezieht sich auf die aktuell stattfindende Debatte um die sozial-ökologische Transformation, die sich vor allem im Rahmen des kapitalistischen Wirtschaftssystems abspielt.
Über welches Wachstum reden wir?
Wenn heute über Wachstum gesprochen wird – egal ob Pro- oder De-Growth – dann geht es meistens um das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Größe. Veränderungen im inflationsbereinigten Bruttoinlandsprodukt werden bei positiver Entwicklung als Wachstum bezeichnet. Dabei ist das Bruttoinlandsprodukt aus vielerlei Hinsicht die falsche Metrik: Wenn beispielsweise ein Hauseigentümer sein Haus an eine andere Person verkauft, die das Haus wiederum an den ursprünglichen Eigentümer vermietet, ist zwar das Bruttoinlandsprodukt gestiegen, es hat sich aber qualitativ nichts verändert. Das BIP gibt außerdem keine Aussage darüber, in welchen Branchen Wachstum stattgefunden hat. Gerade die große Menge überwiegend von FINTA*-Personen (Frauen, Inter, nicht-binäre und Trans Personen) geleistete unbezahlte Reproduktionsarbeit würde beispielsweise ein enormes Wirtschaftswachstum generieren, wenn sie politisch gewollt professionalisiert werden würde. Die Auswirkungen auf die Erderwärmung wären dabei enorm überschaubar.
Wirtschaftswachstum – we don’t care
Unsere Forderung ist es, eine agnostische Haltung gegenüber wirtschaftlichem Wachstum im Sinne einer Steigerung des Bruttoinlandsprodukts einzunehmen. Wachstum per se ist kein sozialistisches oder sozialdemokratisches Ziel, da alleine mehr erfasste Güter und Dienstleistungen nicht automatisch zu mehr Wohlstand führen. Insbesondere in den letzten Jahrzehnten ist die Vermögensungleichheit bei wachsender Wirtschaft stetig größer geworden. Statt auf Wachstum, soll Wohlstand für alle in den Fokus rücken. Aktiv für oder gegen Wachstum zu arbeiten, ist jeweils für sich auf unterschiedliche Weise problematisch. In den letzten 200 Jahren haben wir durch Steigerung von Produktion und Ressourceneinsatz ein hohes Wohlstandsniveau in den Volkswirtschaften des globalen Nordens geschaffen. Dies ging jedoch mit einer enormen Ausbeutung von Mensch und Natur, insbesondere im globalen Süden einher. Eine Fortführung dieser Entwicklung – umso mehr in der zunehmenden Geschwindigkeit – ist nicht innerhalb der planetaren Grenzen darstellbar. Wirtschaftspolitik muss sich daher zukünftig an anderen Zielen und nicht mehr an einer Steigerung des BIP ausrichten: Viel entscheidender als zu messen und vorzugeben, wie hoch der Gesamtwert aller Tauschgeschäfte in einer Volkswirtschaft war oder sein soll, ist es, qualitative Aspekte wie die Zusammensetzung der Wirtschaftsleistung und andere quantitative Aspekte wie den Grad der Dekarbonisierung oder die ökonomische Gerechtigkeit in den Blick zu nehmen und als Ziele zu verfolgen. Dabei spielt vor allem auch der individuell wahrnehmbare Wohlstand und seine Mehrung eine Rolle. Hierfür muss auf bestehende Messgrößen zurückgegriffen werden und es müssen zudem neue Messgrößen entwickelt werden. Wir nehmen in der wirtschaftspolitischen Debatte aktuell vor allem zwei Positionen wahr. Auf der einen Seite das Dogma des ständigen Wachstums und demgegenüber die Forderung nach einem Ende des Wachstums und sogar eine Rückentwicklung der Wirtschaft. Beide Positionen lehnen wir klar ab.
Vom aktuellen Wachstum profitiert nur das Kapital
Das Dogma des ständigen Wachstums argumentiert, dass sich durch ständiges Wirtschaftswachstum der Wohlstand einer Volkswirtschaft vergrößern würde. Während es zutreffend ist, dass es eine Bedingung für den Kapitalismus ist, sich auszudehnen und zu expandieren, um die Interessen des Kapitals zu befriedigen, ist empirisch nicht von der Hand zu weisen, dass sich in den vergangenen Jahren trotz kontinuierlichem Wirtschaftswachstum die Einkommens- und Vermögensverteilung nicht verbessert sondern verschlechtert hat. Kurz: Von Wachstum profitieren aktuell also nicht in erster Linie diejenigen, die das Wachstum erwirtschaften, sondern vor allem diejenigen, die über die Produktionsmittel verfügen und sich die Arbeitskraft anderer aneignen. Auch das Argument, dass sich nur durch eine wachsende Volkswirtschaft – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – das System sozialer Sicherung finanzieren ließen, ist nicht zu halten. Die Frage des Sozialstaats ist keine Frage des Geldes, sondern eine Frage von real verfügbaren Ressourcen. Würde das Bruttoinlandsprodukt nicht mehr steigen, so müsste man allerdings den Anteil der Ressourcen quantitativ erhöhen, der Menschen in sozialen Berufen und Arbeitslosen zufließt oder aber die Qualität der Ressourcen steigern, damit Menschen in sozialen Berufen und Arbeitslose keine Wohlstandsverluste erleiden, wenn dieser absolut erhöht werden soll. Weiterhin wird argumentiert, dass in einer wachsenden und expandierenden Wirtschaft quasi automatisch neue Arbeitsplätze entstehen würden und für das Ziel der Vollbeschäftigung daher kontinuierliches Wachstum nötig sei. Doch auch dieses Argument lässt sich widerlegen: Weil die Produktivität einzelner Arbeitskräfte pro Zeiteinheit z.B. durch technologischen Fortschritt aber auch durch Qualifizierung stetig steigt, ist ein Anstieg der Produktivität und damit Wirtschaftswachstum möglich, ohne dass dies zu mehr Beschäftigung führt.
De-Growth schadet denen, die arbeiten!
Die gegenteilige Perspektive ist diejenige, die zuletzt besonders durch Ulrike Herrmanns Buch “Vom Ende des Kapitalismus” stark gemacht wurde. Aufgrund der harten planetaren Grenzen sei es nicht mehr möglich, im heutigen Umfang zu produzieren. Daraus resultiere die Notwendigkeit einer Deindustrialisierung und einer Schrumpfung der Wirtschaft, da wir über unsere Verhältnisse produzierten. Während es richtig und wichtig ist, planetare Grenzen als Fragestellung in die wirtschaftliche Debatte einzubeziehen, wäre diese Antwort mit einem massiven Verlust an materiellem Wohlstand und sinnstiftender Erwerbsarbeit verbunden, zwei zentralen Säulen unserer Vorstellung einer sozialistischen Gesellschaft. Wir dürfen daher nichts unversucht lassen, um eine Deindustrialisierung trotz Einhaltung der planetaren Kapazitäten – sowohl in Bezug auf Emissionen als auch in Bezug auf Ressourcenverbrauch – zu verhindern. Kurzfristig politisch herbeigeführte Deindustrialisierung würde vor allem dazu führen, dass Arbeitnehmer*innen ihre Arbeitsplätze verlieren und damit nicht nur in existenzielle Not geraten, sondern auch die Teilhabe an der Gesellschaft verlieren. Ganze Regionen und Gebiete wären bedroht, das soziale Spaltungspotential ist enorm.
Wohlstandsniveau halten ohne weiteres Wachstum innerhalb der planetaren Grenzen: Wie soll das gehen?
Das Ziel unser wachstumsagnostischen Haltung ist der größtmögliche Wohlstand bei bestmöglicher Verteilung unter Einhaltung der planetaren Grenzen. Dafür braucht es aus unserer Sicht drei konkrete Dinge:
1) Demokratische Entscheidung darüber, wofür Ressourcen und Emissionskapazitäten verwendet werden: Schaut man sich an, welche Einkommensgruppen für welchen Anteil von Emissionen verantwortlich sind, dann stellen wir schnell fest, dass es eine enorme Ungerechtigkeit in der Verursachung der Klimakrise gibt. Wir wollen daher den Ressourcenverbrauch und die Zuteilung von Emissionen demokratisch und nicht marktwirtschaftlich entscheiden: In vielen Bereichen – Luxuskreuzfahrten, Privatjets und ähnliches – lassen sich ohne Wohlstandsgefährdung der Vielen massive Einsparungen vornehmen.
2) Aktive Transformation und Dekarbonisierung: Statt De-Growth braucht es aktive Transformation. Durch aktives staatliches Handeln, hohe Investitionen und klare Regularien ist es möglich, die Wirtschaft und auch die industrielle Produktion zu dekarbonisieren. Die Potentiale für erneuerbare Energien sind nicht ansatzweise ausgeschöpft, die technologischen Entwicklungen für emissionsärmere und emissionsfreie Produktionstechniken stehen noch am Anfang. Ansätze aus der Kreislaufwirtschaft und die Forderung nach einer Veränderung von Produktionsverfahren hin zu einer Wiederverwendbarkeit von endlichen Rohstoffen ist nicht nur ökologisch sondern auch demokratisch geboten, wenn wir uns nicht von rohstoffreichen, autokratischen Staaten erpressbar machen wollen.
3) Wir wollen die Kreislaufwirtschaft: Insbesondere für die Frage der Ressourcen – Rohstoffe etc. – ist die Kreislaufwirtschaft viel diskutiertes und auch von uns unterstütztes Ziel. Wir wollen diesen Weg einschlagen und die Industrie durch ordnungsrechtliche Vorgaben zur Kreislaufwirtschaft verpflichten. Aber die Kreislaufwirtschaft allein wird dabei nicht der heilige Gral sein: Selbst bei enormen technischen Fortschritt wird es notwendig sein, dem Wirtschaftskreislauf immer auch neue Primärrohstoffe zuzuführen, deswegen muss die Regenerationsrate von Primärrohstoffen in die demokratisierte Planung von Produktion integriert werden. Deswegen ist es notwendig, dass dieser Aspekt gemeinsam mit den beiden vorgenannten umgesetzt wird.
Die Verfolgung dieser Ziele kann sowohl zu einem positiven als auch zu einem negativen Wirtschaftswachstum führen. Dies nehmen wir desinteressiert zur Kenntnis, weil wir uns auf unsere anderen qualitativen Ziele konzentrieren und diese ins Zentrum unserer Politik stellen.
Produktivkraftsteigerung ja – aber nicht wegen Wachstum sondern als Mittel zur Arbeitszeitverkürzung
Ein weiterer Aspekt, der im Zusammenhang mit Wirtschaftswachstum – gerade aus der marxistischen Theorie heraus – diskutiert wird ist die Frage nach der Produktivkraft der Arbeitnehmer*innen und deren Steigerung. Dazu halten wir folgendes fest: Es gibt viele gesellschaftliche Herausforderungen und Aufgaben, die wir auch zukünftig nur mit menschlicher Arbeitskapazität lösen können, dies gilt beispielsweise in der Pflege und der Bildung. Die Steigerung der Produktivkraft der Arbeitnehmer*innen z.B. in der Industrie oder dem Dienstleistungssektor kann hierfür Kapazitäten freisetzen. Auch Ingenieurleistungen, die für die Transformation elementar notwendig sind, lassen sich nur mit menschlicher Arbeit erledigen. Wir wollen die Produktivkraftsteigerung nutzen, um gesamtgesellschaftlich in der Lage zu sein, diese Probleme mit mehr Aufmerksamkeit und Kapazität zu adressieren. Produktivkraftsteigerung ist also für uns grundsätzlich positiv. Aber nicht, weil sie zu einer Steigerung des Wirtschaftswachstums führt, sondern weil der Anstieg der Produktivität ein starkes Pfund in den Händen der Arbeitnehmer*innen gegenüber denjenigen ist, die ihre Arbeitskraft ausnutzen. Die Forderung lautet: weniger Arbeitszeit bei gleichem Lohn. Von der Steigerung der Produktivkraft – die gleichzeitig mit Verdichtung und damit auch mit Belastung der Beschäftigten einhergeht – sollten vor allem die Arbeitnehmer*innen profitieren, dann ist sie für uns auch ein erstrebenswertes Ziel.
(Nicht-)Wachstum international denken
Der globale Norden hat in den letzten Jahrhunderten im Vergleich zum globalen Süden einen enormen Wohlstandszugewinn erlebt. Die globale Ungerechtigkeit ist dabei aber weiter enorm. Die oben bereits genannte Demokratisierung von Ressourceneinsatz und Emmissionsausstößen muss nicht nur national oder international innerhalb der EU sondern global erkämpft werden. Die Geschichte ist voll von Ausbeutung des globalen Südens. Daher ist es nur folgerichtig, dass Wohlstandssteigerungen in den kommenden Jahren mit Priorität im globalen Süden angestrebt werden. Der Anspruch der Menschen im globalen Süden auf eine Erhöhung ihres Wohlstands stellt für uns eine genauso harte Grenze für unseren eigenen Ressourcenverbrauch im globalen Norden dar, wie die planetaren Grenzen. Eine materielle Wohlstandsmehrung im globalen Norden darf nur dann politisch gewollt und umgesetzt werden, wenn gleichzeitig die planetaren Grenzen eingehalten werden und der materielle Wohlstand im globalen Süden wachsen kann. Doch sobald ein hohes materielles Wohlstandsniveau auch dort erreicht wurde, ist es folgerichtig wie für den globalen Norden auch für den globalen Süden unsere Sichtweise, dass andere Faktoren und Argumente in der Debatte mehr Gewicht bekommen müssen und besser dazu geeignet sind, den Zustand von Volkswirtschaften zu beschreiben.Wirtschaftswachstum sollte unserer Meinung nach generell nur angestrebt werden, solange diese Zielsetzung auch zu realen, qualitativen Verbesserungen führt. Wir erkennen an, dass diese Analyse zwar unserer sozialistischen und internationalistischen Analyse entstammt, wir sie aber dennoch aus der Sprecher*innenposition von Menschen aus einem ehemals kolonialisierenden Staat heraus treffen. Deshalb und ganz generell maßen wir uns nicht an, für die Länder des globalen Südens zu sprechen. Aufgabe unseres politischen Handelns ist es, ausreichend große materiell-physikalische Spielräume offen zu halten, innerhalb derer die Menschen im globalen Süden ihre eigenen politischen Entscheidungen treffen können.
2/III/2023 Kommunalbetrieb für Recycling
8.08.2023Die Stadt München soll die AWM um einen Kommunalbetrieb zur gewerblichen Verwertung von entsorgten Gütern erweitern, um eine kommunale Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen. Ein erster Schritt soll mit aufgegebenen Fahrrädern erfolgen.