6/II/2023 Unterstützung statt Jugendarrest – Für einen anderen Umgang mit Schulverweigerung

Status:
Überweisung

Die SPD setzt sich dafür ein, dass die Regelungen der Maßnahmen zur Durchsetzung der Schulpflicht in allen Bundesländern, wo dies nicht bereits der Fall ist, wie folgt geändert werden:

  1. Die Durchsetzung der Schulpflicht bzw. geschuldeter Bußgelder im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Schulpflicht durch Haft oder Jugendarrest wird grundsätzlich verboten.
  2. Die Verhängung von Bußgeldern ist in Zukunft nur noch gegen Erziehungsberechtigte, Ausbildungsbetriebe und Träger*innen ähnlicher Pflichten im Zusammenhang mit der Schulpflicht zulässig, nicht jedoch gegen die Schulpflichtigen selbst.
  3. Erziehungsberechtigte, welche ihre Pflichten erfüllen möchten, jedoch nicht in der Lage sind, ihre Kinder zum Schulbesuch zu bewegen, werden nicht mit Bußgeldern belegt. Im Zweifel müssen hier Einzelfallentscheidungen im Sinne der betroffenen Familien getroffen werden.

Statt Strafen muss Kindern und Jugendlichen, welche den Schulbesuch dauerhaft, für längere Zeit oder regelmäßig verweigern, und deren Familien, an deren Bedürfnisse angepasste Hilfe zur Seite gestellt werden. Statt Abschreckung und Zwang braucht es eine Stärkung der Schulsozialarbeit und der Jugendämter sowie einen deutlich einfacheren Zugang zu psychologischer Unterstützung. Im Fall von Mobbing müssen die Schulen stärker als bisher dabei unterstützt werden, das Problem systemisch anzugehen. Sollte ein Besuch der ursprünglichen Schule nicht mehr zumutbar sein, muss gemeinsam mit dem*der Schüler*in und den Erziehungsberechtigten ein alternativer Weg zu einem Schulabschluss gefunden werden. Um zu verhindern, dass Jugendliche die Schulpflicht „aussitzen“ und schließlich ohne Abschluss aus dem System fallen, muss die Schulpflicht künftig in eine Bildungsgarantie übergehen – Unterstützungsangebote dürfen nicht mit dem Ende der Schulpflicht aufhören, stattdessen müssen die Schüler*innen weiter bis zu einem Schulabschluss begleitet und ihnen eine Perspektive zu einem berufsqualifizierenden Abschluss geboten werden – mit der Ausbildungsgarantie ist hier ein erster, wichtiger Schritt getan. Die Orientierung auf einen Abschluss hin bedeutet auch, dass einjährige Maßnahmen, welche nicht unmittelbar zu einem berufsqualifizierenden Abschluss führen, künftig nicht mehr zur Erfüllung der Berufsschulpflicht ausreichen dürfen.

Begründung:

Die genaue Zahl der Jugendlichen, die wegen Schulverweigerung im Jugendarrest sitzen, ist schwer zu ermitteln, Schätzungen zufolge sind jedoch pro Jahr über 1000 Jugendliche betroffen[1]. Dabei besteht die Möglichkeit des Jugendarrests aufgrund von Schulverweigerung nicht in allen Bundesländern. Entsprechend uneinheitlich ist hierzu bisher auch die Position der SPD – während die SPD in Sachsen-Anhalt sich bemühte, den Jugendarrest abzuschaffen, halten SPD-geführte Bundesländer wie Hamburg, Niedersachsen oder das Saarland daran fest. Und auch in Bayern wird der Jugendarrest wegen Schulverweigerung regelmäßig verhängt. Dabei ist die Funktion des Jugendarrests zweifelhaft – die Schüler*innen werden gemeinsam mit Straftäter*innen eingesperrt und können weiter nicht die Schule besuchen, die Rückfallquote ist hoch, und wer einmal im Knast ist, knüpft im Zweifel Kontakte, die einen Einstieg in die Kriminalität begünstigen. Auch Bußgelder sind kein geeignetes Mittel, um Jugendliche dazu zu bewegen, wieder zur Schule zu gehen – sie entspringen demselben pädagogischen Verständnis, zudem haben Schüler*innen in aller Regel kein oder nur ein sehr geringes eigenes Einkommen. Summieren sich die Bußgelder, kann dies Familien vor große finanzielle Herausforderungen stellen, bis hin dazu, dass letztlich Armut durch Haft bestraft wird. Zudem sind unter den häufigsten Gründen für Schulverweigerung Schulangst, Mobbing und familiäre Probleme – statt mit Strafen belegt zu werden, die einem veralteten pädagogischen Verständnis entspringen, benötigen diese Jugendlichen und deren Familien vor allem Unterstützung. Hierfür müssen bestehende Angebote ausgebaut und neue geschaffen werden, das System muss darauf orientiert werden, dass möglichst alle jungen Menschen einen Schulabschluss und darauf aufbauend einen berufsqualifizierenden Abschluss erreichen – dabei darf die Unterstützung nicht plötzlich aufhören, wenn die Jugendlichen formal die Schulpflicht erfüllt haben. Die Schulpflicht ist ein wichtiges Mittel, um das Recht auf Bildung von Kindern und Jugendlichen gegenüber ihren Erziehungsberechtigten und Arbeitgeber*innen durchzusetzen – für Jugendliche, die Angst vor der Schule haben, gemobbt werden, mit familiären und/oder psychischen Problemen kämpfen oder sonst durch das System fallen, sind daraus abgeleitete staatliche Zwangsmaßnahmen kein geeignetes Mittel.
[1] https://www.vice.com/de/article/a3yme5/jedes-jahr-landen-weit-uber-1000-schuler-wegen-schulschwanzens-im-jugendknast